Blauer Dunst

Was ich noch zu sagen hätte, dauert mehr als eine Zigarre, frei nach Reinhard May

Begeben wir uns ruhig mal auf schlüpfriges, vom Zeitgeist vermintes
Gelände. Aber die Volksgesundheit kann doch nicht so gefährdet sein, wenn sie ehemalige Raucher daran erinnert, dass auch der Genuss einer guten Zigarre …

Hans Castorp, der zweifelhafte Held von Thomas Manns Roman Der Zauberberg, ist auch in gegenwärtigem Zusammenhängen ein rechtes „Sorgenkind des Lebens“. Bevor der dem Zauber der Madame Chauchat erlag, hieß seine Geliebte Maria Manchini, genannt nach einer Jugendliebe Ludwig des XIV. Die unlängst ihren 100. beging: die Zigarre. Zweihundert Stück davon hat der junge Castro von Hamburg über die süddeutsche Hochebene, über die Gestade des Schwäbischen Meeres und am Ende über die Schlünde des Hochgebirges nach Graubünden exportiert. Auch dort war ihm schleierhaft, wie jemand nicht rauchen könne. Bringe man sich damit doch um des Lebens besten Teil und jedenfalls um ein eminentes Vergnügen! Beim Aufwachen freut man sich schon, dass man tagsüber wird rauchen dürfen. Man freut sich aufs Essen, und isst recht eigentlich nur, um danach wieder rauchen zu können. Hat man eine gute Zigarre, ist man Hans im Glück. Man weiß sich dann geborgen: so als könnte einem buchstäblich nichts geschehen. So ähnlich hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein das religiöse Gefühl beschrieben.

Tatsächlich, es kann einem schlecht gehen, oder sogar miserabel, aber solange man eine Zigarre hat, hält man’s aus, sie bringt einen darüber hinweg. Gott sein Dank raucht man ja in der ganzen Welt, es ist nirgendwo unbekannt. – Auch Thomas Mann selber war bekanntlich dem Zigarrenrauchen zugetan. Wie man nicht nur auf diesem einen Foto sieht, auf dem der etwa Fünfzigjährige, akkurat gekämmt, im Anzug und mit Krawatte, an seinem Münchner Schreibtisch gerade ein Manuskript durchgeht; in der rechten Hand, zwischen Zeige- und Mittelfinger, das bewährte Steigerungsmittel. Sich selber fand der wohl gar nicht schlapp, weil er so daran hing.

Jetzt aber kommt’s. Eine Zigarre, das weiß man doch, ist das Philosophischste, was jemand in den Mund nehmen kann. Das Philosophischste, will heißen: das Dialektischste. Sexuell stimulierend, als Phallus oder wenigstens Phallussymbol und zugleich triebdämpfend. Sie ist sowohl sinnlicher Lebensgenuss auf Zeit wie auch Ewigkeitserlebnis. Physisch und metaphysisch ist sie, beides zugleich: Transzendenz der Zeit in der Zeit. Man raucht ein Weilchen und: Nunc stans

Im Zauberberg ist die Zigarre hauptsächlich mit dem Müßiggang verbunden – darauf muss sich einer erst einmal verstehen! Und darauf aufbauend mit Zeitlosigkeit und Meeresmetaphysik: Beim Rauchen ist es nicht anders, als wenn man an der See liegt, dann liegt man eben an der See und braucht nichts weiter, weder Arbeit noch Unterhaltung.

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