DROGENSUCHT

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GEDICHTE

Stefan, 44, polytoxikoman

Eine kleiner Text, der gerne ein Gedicht wäre

Immer wieder zweifeln,
und wieder überlegen,
dann auch verzweifeln.
Und nehme Substanzen.
Es ist schöner dann.

Die Welt gibt mir nichts.
Auch nicht die Menschen.
geben mir nichts,
Und nehme Substanzen.
Und es ist schöner dann.

Und jetzt nehme ich KEINE Substanzen mehr.
Und es ist VIEL schöner dann.

LESEPROBEN

Nina Heick. www.ninaheick.de

Zum Thema Rauchentwöhnung

Aus dem Roman „REISE OHNE ZIEL – Wo bin ich? Wo will ich hin?

Brillanz der Dominanz

Gestern machte ich eine Erfahrung, die mit das Außergewöhnlichste war, was ich je erlebt habe. Ich ließ mich zur Rauchentwöhnung von einer überaus beeindruckenden Lady in den Sechzigern, die man mir aufgrund ihrer hohen Erfolgsquote empfohlen hatte, in Hypnose versetzen.
Mama, die mindestens genauso aufgeregt war wie ich, weil wir keinen blassen Schimmer davon hatten, was mich erwartete, fuhr mich mit dem Auto zu der Villa, in der die Veranstaltung zelebriert wurde.

Ich meldete mich am Empfang, zahlte 150 Euro und rauchte bis zum Start der zweistündigen Veranstaltung mit weiteren Gästen auf der Terrasse.

Insgesamt vierundzwanzig gespannt lauschende Teilnehmer saßen neben und hinter mir, während die strenge Lady in diesem pompösen Saal, der an Eleganz kaum zu überbieten war, vor uns auf der Bühne stand. Ihr selbstbewusstes, dominantes Auftreten und die theatralische Art, wie sie sich und ihre dunkle Stimme in Szene setzte, faszinierten mich. Von oben herab warf sie die Frage „Warum rauchen Sie?“ ins Publikum. „Rauchen macht althässlichimpotent und führt zum Tod – steht auf jeder Packung! Warum also rauchen Sie?“
„Langeweile“, rief einer.
Arrogant betrachtete sie jeden Einzelnen und sagte in abfälligem, herrischem Ton: „Sitzen und rauchen … das ist, was Sie alle hier tun, nicht? Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen als sitzen und rauchen. Wenn Sie Langeweile haben, meine Damen und Herren, dann benötigen Sie Unterhaltung!“ Sie trat ganz nah und forsch an eine junge Frau heran, die erschrocken zusammenzuckte, und stellte ihre Ausgangsfrage noch einmal.

Der weibliche Gast gab leise „Gesellschaft“ zur Antwort, woraufhin sich die „Domina“ müde abwinkend erhob und wieder die Menge fixierte: „Fühlen Sie sich als Raucher etwa in der Gesellschaft von Nichtrauchern wohl? Nein. Oder? Ein Alkoholiker ist schließlich auch am liebsten mit Alkoholikern zusammen … Das nennen Sie Gesellschaft?“
„Entspannung“, rief ein anderer.
„Sind Sie denn verrückt geworden? Rauchen macht althässlichimpotent und führt zum Tod – steht auf jeder Packung! Wie können Sie da noch entspannt sein?“
„Alleinsein“, rief ich.
„Junges Fräulein, Sie stinken! Da nützen auch die Cremes und Parfums nichts mehr. Die Frisur sitzt nicht, die Haut ist fahl …Und Sie wundern sich, nicht den Richtigen zu finden?“

Von ihrer Frechheit amüsiert schmunzelte ich und verfolgte begeistert den weiteren Verlauf.
„Stress“, rief eine andere.
Stress?? Nun gut … Versetzen wir uns in folgende Lage: Sie haben einen wichtigen Termin und sind bereits spät dran. Um noch pünktlich anzukommen, rasen Sie wie eine Irre, geraten jedoch in einen Stau. Das bedeutet Stress. Was machen Sie? Sie zünden sich eine Zigarette an. Meinen Sie, Ihr Ziel dadurch schneller zu erreichen?

Merken Sie sich: Rauchen bedeutet Stress. Rauchen macht unfrei. Sie sind von Sorgen geplagt und von Angst zerfressen … Hab ich noch genügend Zigaretten? Darf ich in dem Café rauchen? Rauchen schafft also unmöglich Ruhe oder Ablenkung. Rauchen kann niemals auch nur irgendetwas für Sie tun.

Meine Damen und Herren, warum Sie rauchen, will ich wissen! AbhängigkeitGewohnheit oder Sucht? Was glauben Sie, trifft auf Sie zu? Nutzen Sie hierfür die Schilder, die in den Mappen unter Ihren Sesseln liegen.“

Es wurden mindestens zwei oder alle drei der Begriffe hochgehalten.

„Abhängigkeit? Falsch! Gewohnheit? Falsch!“, schimpfte die Lady. „Definieren wir mal Abhängigkeit: Das Leben hängt ab. Sie können ohne Luft nicht atmen, ohne Essen und Trinken nicht existieren. Sie würden sterben. Würden Sie auch sterben, wenn Sie nicht mehr rauchen? Nein. Sie sterben, weil Sie rauchen.

Gewohnheit: eine automatisch ablaufende Handlung; die Neigung, etwas wieder zu tun. Sie putzen sich jeden Tag die Zähne – davon gehe ich aus –, könnten es aber auch sein lassen. Das haben Sie im Griff. Und Ihren Zigarettenkonsum? Haben Sie den im Griff? Nein. Weil Sie süchtig sind! Sucht heißt: Kontrollverlust. Sie sind abhängig vom Nikotin, Sie können nicht verzichten, Sie suchen den Kick. Denken Sie mal zurück an die erste Zigarette und den ekligen Geschmack auf Ihrer Zunge. Rauchen schmeckt nicht. Trotzdem qualmten Sie die zweite. Für den Kick. Sie rauchen nach dem Essen, weil Ihre Kehle und Lunge nicht Abstinenz, sondern Vergiftung gewöhnt sind. Wenn Sie Alkohol und Kaffee trinken, können Sie sogar Kette rauchen, hab ich Recht? Alkohol und Kaffee betäuben nämlich die Geschmacksnerven, sodass Sie den ekligen Geschmack des Nikotins nicht schmecken müssen.

Kennen Sie die Geschichte vom trockenen Alkoholiker? Ein Schnaps genügt, und er hängt wieder an der Pulle. So wird es auch bei Ihnen sein … Ihr rauchender Bekanntenkreis ist von nun an Ihr größter Feind! Man wird versuchen, Ihnen aus Neid eine Zigarette anzubieten. Aber vergessen Sie nicht: Diese eine Zigarette macht Sie wieder zum Raucher!

Wie steht es um das Rauchen, wenn Sie im Kino, im Flugzeug oder in der Kirche sind? Sie wissen, dass sie nicht rauchen dürfen. Daher haben Sie auch kein Verlangen danach. Sie wollen aber rauchen, sobald Sie wieder an der frischen Luft sind. Machen sich klar: Sie rauchen, weil Sie rauchen wollen. Nur wenn Sie rauchen wollen, es aber nicht tun, leiden Sie unter Entzugserscheinungen. Heute sind Sie allerdings hier, um Nichtraucher zu werden, stimmtʼs? Treffen Sie eine Entscheidung und die Hypnose tut ihr Weiteres. Bevor wir anfangen, bitte ich Sie: rauchen Sie Ihre letzte Zigarette. Jeder für sich. Dann schmeißen Sie Ihre Feuerzeuge in den Plastikeimer und den Rest Ihrer Schachtel in das draußen brennende Lagerfeuer.“

Mit der ersten Kippe, die ich hastig inhaliert hatte, zündete ich mir gleich ʼne zweite an und wurde – während ich dabei zusah, wie das Päckchen samt Inhalt in den Flammen schmolz – von Emotionen überrannt. Von wem nahm ich da Abschied? Von der Zigarette? Von Nik? Oder von beiden? Meine Hände zitterten nicht nur beim Festkrallen des übrigen Stummels, den ich bis zur Filtermarkierung aussog, sondern verfehlten im Wurf auch noch das Ziel.

Mit hängendem Kopf trottete ich zurück in den Saal, setzte mich zu den anderen und lauschte Elvis Presleys „Always On My Mind“.

Nach einer Schweigeminute folgte das Versetzen in Trance, gegen das ich mich anfänglich unbewusst zu sperren schien. Obwohl ich im Meditieren nicht ungeübt bin, fiel es mir außerordentlich schwer, mich auf die Hypnose einzulassen. Nik schlich sich ständig in meine Gedanken und ließ mein Herz schneller schlagen. Ich brauchte mehrere Anläufe, bis ich ruhiger atmen und mich auf die anleitende, weiche Stimme, deren Hall mich bald aus der Ferne erreichte, konzentrieren konnte.

„Lassen Sie sich in Ihren Sessel fallen. Spüren Sie Ihrem Körper nach, der zunehmend schwerer wird. In Ihrem Sessel, der auf einer Rolltreppe nach oben fährt. Stufe um Stufe höher zum Erfolg. Sie werden sich gut fühlen. Vor Kraft und Freiheit strotzen. Denn Sie sind Nichtraucher. Heute Nacht schlafen Sie so tief und fest wie schon lange nicht mehr. Denn Sie sind Nichtraucher. Sie können die Schwäche anderer akzeptieren. Denn Sie sind tolerant und Nichtraucher.

Ich zähle jetzt bis zehn. Bei zehn sind Sie auf der Stufe des Erfolgs angelangt und öffnen Ihre Augen. Eins, zwei, drei, vier …“

Ich war noch ganz beduselt und kribbelig, als ich auf den Wagen meiner Mutter, die während meines Aufenthalts in einer Konditorei auf mich gewartet hatte, zusteuerte und brach – ehe ich etwas sagen konnte – vor Erschöpfung in Geheule aus.

Wir kehrten beim Italiener ein, teilten uns eine Bruschetta-Platte und tranken reichlich Aperol. Ich lachte den ganzen Abend über, weil das so verrückt klang, mich nun als Nichtraucherin zu bezeichnen. Und das war es auch …

Kaum dass ich meine Wohnung betrat, wühlte ich auch schon nach den sechs Probe-Zigarillos, die man mir vor Kurzem geschenkt hatte, und schlief alles andere als tief und fest.

Vielleicht hätte ich auf den Alkohol verzichten oder mit dem Vorhaben, das Rauchen aufzugeben, warten sollen, bis die Trennung verarbeitet ist. Trotzdem bereue ich weder die finanzielle noch die zeitliche Investition. Die Frau warʼs eindeutig Wert. Von ihrer brillanten Dominanz könntʼ ich mir glatt ʼne Scheibe abschneiden.

Harald Köhl

Blauer Dunst

Was ich noch zu sagen hätte, dauert mehr als eine Zigarre, frei nach Reinhard May

Begeben wir uns ruhig mal auf schlüpfriges, vom Zeitgeist vermintes Gelände. Aber die Volksgesundheit kann doch nicht so gefährdet sein, wenn sie ehemalige Raucher daran erinnert, dass auch der Genuss einer guten Zigarre …

Hans Castorp, der zweifelhafte Held von Thomas Manns Roman Der Zauberberg, ist auch in gegenwärtigem Zusammenhängen ein rechtes „Sorgenkind des Lebens“. Bevor der dem Zauber der Madame Chauchat erlag, hieß seine Geliebte Maria Manchini, genannt nach einer Jugendliebe Ludwig des XIV. Die unlängst ihren 100. beging: die Zigarre. Zweihundert Stück davon hat der junge Castro von Hamburg über die süddeutsche Hochebene, über die Gestade des Schwäbischen Meeres und am Ende über die Schlünde des Hochgebirges nach Graubünden exportiert. Auch dort war ihm schleierhaft, wie jemand nicht rauchen könne. Bringe man sich damit doch um des Lebens besten Teil und jedenfalls um ein eminentes Vergnügen! Beim Aufwachen freut man sich schon, dass man tagsüber wird rauchen dürfen. Man freut sich aufs Essen, und isst recht eigentlich nur, um danach wieder rauchen zu können. Hat man eine gute Zigarre, ist man Hans im Glück. Man weiß sich dann geborgen: so als könnte einem buchstäblich nichts geschehen. So ähnlich hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein das religiöse Gefühl beschrieben.

Tatsächlich, es kann einem schlecht gehen, oder sogar miserabel, aber solange man eine Zigarre hat, hält man’s aus, sie bringt einen darüber hinweg. Gott sein Dank raucht man ja in der ganzen Welt, es ist nirgendwo unbekannt. – Auch Thomas Mann selber war bekanntlich dem Zigarrenrauchen zugetan. Wie man nicht nur auf diesem einen Foto sieht, auf dem der etwa Fünfzigjährige, akkurat gekämmt, im Anzug und mit Krawatte, an seinem Münchner Schreibtisch gerade ein Manuskript durchgeht; in der rechten Hand, zwischen Zeige- und Mittelfinger, das bewährte Steigerungsmittel. Sich selber fand der wohl gar nicht schlapp, weil er so daran hing.

Jetzt aber kommt’s. Eine Zigarre, das weiß man doch, ist das Philosophischste, was jemand in den Mund nehmen kann. Das Philosophischste, will heißen: das Dialektischste. Sexuell stimulierend, als Phallus oder wenigstens Phallussymbol und zugleich triebdämpfend. Sie ist sowohl sinnlicher Lebensgenuss auf Zeit wie auch Ewigkeitserlebnis. Physisch und metaphysisch ist sie, beides zugleich: Transzendenz der Zeit in der Zeit. Man raucht ein Weilchen und: Nunc stans

Im Zauberberg ist die Zigarre hauptsächlich mit dem Müßiggang verbunden – darauf muss sich einer erst einmal verstehen! Und darauf aufbauend mit Zeitlosigkeit und Meeresmetaphysik: Beim Rauchen ist es nicht anders, als wenn man an der See liegt, dann liegt man eben an der See und braucht nichts weiter, weder Arbeit noch Unterhaltung.

NEBLIGER TAG

Der Patient, cannabisabhängig

03:45. Patricks Wecker klingelt. Ich werde kurz wach, schlafe aber direkt wieder ein. Irgendwann werde ich vom Geräusch der Kaffeemaschine wieder wach. Es muss kurz nach 04:00 sein. Ich dämmere nochmals weg. 04:30. Ich höre die Tür zu gehen. Patrick geht mit Macho raus, bringt ihn 15 Minuten später wieder , drückt mir einen Kuss auf die Stirn und fährt zur Arbeit. Kaum ist die Tür in’s Schloss gefallen, kommt Macho zu mir in’s Bett. Kuschelzeit. Irgendwann stehe ich auf, geh zum Wohnzimmertisch. Zum Glück ist noch Mischung da. Ich stopfe mir einen, rauche meinen Bong und geh wieder ins Bett. Macho kommt zu mit unter die Decke, wir kuscheln uns aneinander und schlafen beide wieder ein.

07:30. Mein Wecker klingelt das erste Mal. Ich bin noch total matschig im Kopf, hab keine Lust aufzustehen und drücke ihn aus. 07:45. Der zweite Wecker klingelt, wieder drücke ich ihn aus. 08:00, der dritte Wecker klingelt, ich muss endlich aufstehen. Erst mal ne Kibbe. Ich habe mir mein Frühstück in Form eines Redbulls aus dem Kühlschrank, leere die halbe Dose auf Ex, stopfe mir nen Kopf, rauche. Muss irgendwie wach werden. Ich schleppe mich ins Bad, gehe duschen, Zähneputzen, mache mich fertig. Macho muss raus, hockt schon ungeduldig an der Haustür. Ich gehe ne große Runde mit ihm, bringe ihn wieder zurück. Es ist schon fast 09:00, ich muss mich beeilen, in 16 Minuten fährt meine Bahn. Ich stopfe mir noch einen, rauche, schnappe mir meine Jacke, Handy, Kibben und meine Tasche, verabschiede mich vom Hund und eil, wie jeden Morgen, auf den letzten Drücker zum Bahnhof.

Frankfurt Hauptbahnhof, umsteigen in die U-Bahn. Ich steige eine Station früher aus als ich müsste, dort ist zum Glück direkt ein Rewe – ich brauche Redbull. Ich hole 6 Dosen und laufe zum Lokal. Alex wartet schon vor der Tür auf mich, ich kann sie schon riechen. Wir teilen uns ihren Joint, die Arbeit kann kommen. Wir machen Gastraum und Terrasse gästefertig, bereiten vor, was vorzubereiten ist, es kann losgehen.

Bis zum Mittagsgeschäft ist es immer etwas ruhiger, Zeit zum Rauchen. Ich gebe Alex mein Zeug, sie verschwindet in der Küche und baut uns einen. Wir verschwinden auf dem Hinterhof, der 2. Joint macht die Runde. Langsam werde ich fit.

Gegen 12:00 wird der Laden langsam voll, das Mittagsgeschäft rollt an. Bis 14:00 reißt das auch nicht ab. Wenn der erste Ansturm vorbei ist, müssen wir erst mal einen rauchen. Alex baut, ich brauch ne Kibbe. Ich bin immer froh, wenn Alex baut. Ich bin immer froh, wenn ich mit Alex Dienst hab. Sie ist genau so verkifft wie ich, baut viel schneller und besser, bin halt Bongraucher. Zum Glück schreibe ich die Dienstpläne. Hinterhof, Redbull, der nächste Joint. Ich entspanne.

Mittags wird es wieder etwas ruhiger. Wir bereiten alles für’s Abendgeschäft vor, ich mache meine tägliche Inventur. Nach getaner Arbeit wieder die Belohnung – Redbull und Joint.

Es wird 16:00, 17:00. Zwischendurch ein paar Gäste, alles entspannt. Kurz nach 17:00, Alex hat gleich Feierabend, verschwindet sie noch mal in der Küche und baut uns einen. Wir verziehen uns ein letztes Mal zusammen auf den Hinterhof und rauchen ihren Feierabendjoint. Um 18:00 kommt ihre Ablöse, ich muss noch 2 Stunden durchhalten.

Das Abendgeschäft läuft an. Um 19:00 ist der Laden voll. Stress pur. Ich werde unruhig, könnte einen rauchen. Zum Glück hab ich bald Feierabend. Kurz vor 20:00 ruft Stephan an, mein Vorgesetzter. „Mona hat sich krank gemeldet, kannst du länger machen?“ Fällt ihr ja früh ein! Nicht schon wieder Überstunden. Ich bekomme direkt Puls. Was sag ich jetzt? Hatte im Kopf schon Feierabend, sah mich schon mit Bong. Freund und Hund auf der Couch sitzen. „Ja klar, kein Problem“ höre ich mich sagen. Was sollte ich auch anderes tun? Kann den Laden ja nicht schon um 20:00 schließen. Ich bekomme schlagartig schlechte Laune. Um 20:00 kommt die Aushilfe – Endlich! Ich verschwinde im Keller, mache meine Bestellung für den nächsten Tag und baue mir einen. Rauche meinen Joint auf dem Hinterhof schon besser. Ich werde ruhiger. Zurück zur Arbeit. Die letzten Stunden ziehen sich wie eine Kaugummi. Ich schaue ständig auf die Uhr, die Zeit scheint still zu stehen. Ich werde immer launiger. Bis 22:00 ist der Laden brechend voll, danach ebbt es langsam ab. Mit jedem neuen Gast sinkt meine Stimmung. ,Ich will nach Hause, eigentlich hätte ich längst Feierabend, warum kann ich nicht einfach mal nein sagen’, geht es mir ständig durch den Kopf. Ich verfluche Moni. Ich verschwinde noch mal kurz nach draussen, rauche eine Zigarette.

Um 22:30 fangen wir langsam an zu putzen, räumen auf. Es sind nur noch wenige  Gäste da. Kurz nach 23:00 schließe ich den Laden ab – endlich Feierabend! Ich warte bis meine Kollegen verschwunden sind, setze mich mit einem Redbull auf die Terrasse und baue mir einen Feierabendjoint. Ich laufe die Strecke zum Hauptbahnhof (ca. 40 min.), so kann ich wenigstens in Ruhe meine Joint rauchen. Brauche das jetzt zum Runterkommen. Kurz vor 24:00 fährt meine Bahn. 0:20 bin ich endlich zu Hause. Macho kommt direkt angerannt und begrüßt mich, Patrik schläft schon. Hatten heute ja echt mal wieder viel von einander. Ich gehe schnell duschen, putze schnell die Zähne und mache es mir auf der Couch gemütlich. Endlich Füße hoch! Jetzt brauch ich nen Bong. Ich rauche einen fetten Kopf und entspanne sofort. Ich mache den Fernseher an, zappe mich durch die Programme – immer der gleiche Müll um diese Uhrzeit. Wir ham schon fast 01:30. Ich mache noch ne Mischung, damit ich morgen früh keine machen muss, rauche meine 2 Gute Nacht Köpfe und gehe ins Bett.

03:45 Patricks Wecker klingelt.

Anonym, 30

Supersparpreis

Mein Wecker klingelt um 7.15 Uhr. Es ist der 5. Januar 2021. Ich habe mir auf Arbeit zwei Wochen Urlaub genommen, um meine Eltern zu besuchen. Das Zugticket für den heutigen Tag habe ich bereits gekauft. Mein Zug geht um 9.42 Uhr ab Hbf. Supersparpreis – für 24 Euro einmal durch die Republik. 

Ich drehe mich trotzdem noch mal um. Meine Augen bleiben geöffnet und ich versuche mich zu erinnern, was ich gestern nach der Arbeit noch gemacht habe. Die sieben Bier hatte ich sehr schnell getrunken, dazu noch zwei Joints geraucht. 

Irgendwann hatte ich Arthur angerufen und ihm von meiner Entscheidung erzählt, mein Studium abzubrechen. Er hatte versucht mich zum Weiterstudieren zu bewegen. Mein Vater hatte mir schon Ende November mitgeteilt, dass er die Wohnung gekündigt hatte und ich Ende Januar ausziehen müsse. Ich hätte mich also um eine neue Wohnung kümmern müssen, habe die ganze Angelegenheit aber verdrängt, weil total stressig. Also habe ich bei dem gestrigen Telefonat mit Arthur versucht, ihn darauf vorzubereiten, dass ich bei ihm auf der Matte stehen könnte, wenn ich bis Ende Januar keine andere Wohnung finden würde. Nach all den Jahren, die er auf meinem Fussboden geschlafen hat, hatte ich eigentlich etwas wie „natürlich kannst du bei mir einziehen, du bist jederzeit herzlich willommen“ von ihm erwartet. Aber wie gewohnt kamen von seiner Seite nur kryptische Bemerkungen und Ausweichmannöver. Hätte ich mir denken können. Naja, notfalls würde er mich schon nicht draußen stehen lassen. 

Es wird Zeit aufzustehen. Ich habe eine gute Stunde, um mich fertig zu machen, ein paar Sachen zu packen und die Wohnung Richtung Hbf zu verlassen. Ich packe also meinen Koffer und nehme mit:  5 paar Socken, 2 Hosen, 10 T-Shirts und 10 Unterhosen. Die werde ich brauchen. Wenn ich meine Eltern besuche, entgifte ich automatisch auch für ein paar Tage. Ich muss mich also auf einige unruhige, verschwitzte Nächte einstellen und brauche mehrere T-Shirts pro Nacht zum Wechseln. Bei meinen Eltern zu konsumieren wäre unvorstellbar. Schon alleine wegen der Suchtvergangenheit meines Vaters. Außerdem könnte ich bei ihnen auch gar nicht richtig entspannen und meinen Rausch genießen. 

Schon beim Packen stelle ich fest, dass ich absolut null Bock habe jetzt 6,5 h im Zug zu sitzen, nur um danach nicht konsumieren zu können. Außerdem werde ich dort mit der Thematik konfrontiert werden, wie es jetzt weitergeht. Wie mit meinem Rückfall, meinem Studium und meiner angehenden Wohnungslosigkeit umzugehen ist. Die Vorstellung mich damit auseinanderzusetzen, lässt meine Motivation loszugehen ins Bodenlose sinken. Außerdem sind ja da noch zwei Bier im Kühlschrank und es liegt noch ein halber Joint von gestern im Aschenbecher. Das reicht zwar nicht, aber danach würde die Welt bestimmt anders aussehen. Ich schiebe den Gedanken mit aller Kraft zur Seite und verlasse die Wohnung. 

Es hat in der Nacht ein bisschen geschneit, aber mittlerweile ist der Schnee in Regen übergegangen und überall liegt bräunlicher Matsch. Ich ziehe meinen kleinen Rollkoffer zur Busshaltestelle, von wo ich ein paar Stationen fahre, bevor ich in die S-Bahn umsteigen muss, die mich dann zum Hbf bringen wird. Ich hasse Pankow und den Bus. In Wedding war die U-Bahnhaltestelle direkt vor meiner Haustür. Während ich auf den Bus warte, blitzt er wieder auf. Dieser Gedanke, ich könnte ja auch zum Edeka mir ein paar Bier holen und wieder nach Hause in meine warme und gemütliche Wohnung. Aber dann habe ich immer noch nicht genug Gras und außerdem habe ich ja das Ticket schon gekauft. Supersparpreis bedeutet auch Zugbindung. Also steige ich in den Bus und lasse mich zum S-Bahnhof kutschieren. Im Bahnhof gibt es ein Kiosk. Ich denke daran wie enttäuscht meine Mutter wäre, wenn ich nicht bei ihr ankommen würde. Sie hat bestimmt schon irgendwas super Leckeres eingekauft, das sie heute abend für meinen Vater und mich kochen wird. Vielleicht gibt es ja Rouladen. Der Gedanke ist gut. Ich versuche mich daran festzuhalten und renne am Kiosk vorbei. Jetzt muss ich drei Minuten auf die S-Bahn warten. Sie kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Der Gedanke an die beiden Bier in meinem Kühlschrank schiebt sich wieder in den Vordergrund. Ach wäre das schön jetzt zu Hause ganz alleine mit meiner Lieblingsserie und ein paar Bier und Joints. Bei der Serie handelt es sich um eine Sitcom, die ich ohne zu übertreiben schon mindestens 10 mal durchgeschaut habe. Alle 9 Staffeln. Der Vorteil ist, dass ich der Handlung immer folgen kann, egal wie betrunken ich bin. Das ist nach 10 Durchläufen aber auch wenig verwunderlich. Ich kann sozusagen mitsprechen. Diese Serie gibt mir ein unbschreibliches Gefühl von Vertrautheit und das alles gut wird. Alle Probleme, die ich in meinem Leben habe, treten dabei in den Hintergrund. Außerdem hat sie ein Stück weit mein soziales Umfeld ersetzt. Es fühlt sich so an, als sei ich ein Teil dieser Gemeischaft und ich muss mich nicht mehr einsam fühlen.  Während ich das schreibe ist mir klar, wie armselig das klingt. All das funktioniert natürlich nur, wenn ich dicht bin.

Die S-Bahn fährt in den Bahnhof. Ich steige ein. Hilft ja nichts. Supersparpreis und dampfende Rouladen. Jetzt muss ich bis Friedrichstraße fahren, bevor ich wieder umsteigen muss. 

Der Zug rattert in den Bahnhof Bornolmer Straße ein. Wenn ich hier aussteige, habe ich zwei S-Bahnlinien, die mich wieder zurück nach Pankow zurückbringen. Oder ich nehme die Tram nach Hause. Aber dann komme ich an keinem Supermarkt vorbei, der mein Bier verkauft. Außerdem weiß ich nicht, wie ich meinen Eltern erklären soll, dass ich heute doch nicht komme. Und so bleibe ich einfach ruhig sitzen, eigentlich gar nicht so schwer. Die nächste Station ist Gesundbrunnen. Wenn ich hier umsteige, könnte ich zu meinem Dealer fahren. Aber der ist so früh am Morgen sowieso noch nicht erreichbar. Also bleibe ich sitzen. Dieser ständige Kampf gegen die Versuchung umzukehren strengt mich so sehr an, dass mir ganz warm wird. Ich denke, ich bin auch schon ziemlich rot im Gesicht. 

Nächste Haltestelle Humboldthain. Die Türen öffnen sich. Ich umklammere den Griff meines kleinen Rollkoffers. Ich glaube zwei ältere Damen steigen ein, bin mir aber nicht sicher. Die Türen sind immer noch geöffnet. Kurz bevor sie schließen springe ich auf und haste aus dem Waggon. Ich kann mir immer noch überlegen, ob ich die nächste Bahn Richtung Hbf nehme oder zurück nach Hause fahre. Für den Moment musste ich einfach nur raus, diesen Höllenzug verlassen. Ich stehe, auf dem Bahnsteig die kalte Winterluft in meinem Gesicht fühlt sich gut an. In zwei Minuten fährt die nächste Bahn Richtung Hauptbahnhof und ebenfalls in zwei Minuten fährt eine Bahn Richtung Pankow, zurück nach Hause. Von dem Hin und Her, der permanenten Debatte in meinem Kopf bin ich so erschöpft, dass ich entscheide, es dem Zufall zu überlassen. Wenn die Bahn zum Hbf zuerst kommt, steige ich dort ein und setze meine Reise fort. Kommt die Bahn Richtung Pankow zuerst, fahre ich wieder nach hause; Was für ein bescheuerter Gedanke!

Die Bahn zum Hbf kommt zuerst. Ich steige trotzdem nicht ein und fahre stattdessen nach Hause. Am Kiosk hole ich mir 7 Bier, plus die 2 im Kühlschrank macht 9. Sollte reichen. 

Völlig entkräftet schließe ich endlich meine Wohnungtür auf, stelle den Koffer unausgepackt in eine Ecke und öffne mir ein Bier. Ich mache den Laptop an, starte meine Serie und zünde den halben Joint aus dem Aschenbecher an. Später würde ich noch zu meinem Dealer fahren und Nachschub holen. Aber für den Moment ist alles gut, eine unbeschreibliche Anspannung fällt von mir ab. Ich bin einfach nur froh, mich so entschieden zu haben und jetzt nicht im Zug zu sitzen. Meinen Eltern schreibe ich eine kurze Whatsapp Nachricht: „Habs leider nicht geschafft. Tut mir leid.“ Dann mache ich mein Handy aus. Kein Bock auf eine Anwort. Kein Bock auf irgendjemanden. 

Eine Woche später werde ich es erneut versuchen. Diesmal werde ich es auch schaffen, auch wenn es mich viel Kraft kosten wird. Meine Eltern werden mir vorschlagen aus Berlin wegzuziehen und vorrübergehend bei ihnen einzuziehen. Ich werde erst empört ablehnen und am nächsten Tag kleinlaut zustimmen. 

Ich habe übrigens für diesen zweiten Versuch wieder einen Supersparpreis ergattert. Nur Rouladen gab es keine.

Lisa, 29, hauptsächlich heroinsüchtig

Ich ziehe nur noch durch die Nase

Seit 1,5 Jahre nehme ich regelmäßig Heroin, auch so oft wie möglich Kokain. Das kostet leider noch mehr. Seit 1 Jahr lebe ich mit meinem Hepatitis C-kranken Lebensgefährten in einer Wohnung. Leider haben wir einen Dauergast, ein extrem vergötterter Freund meines Freundes. Der ist auch abhängig und dieser Freund überschattet gemeinsam mit meinem Freund alles. Meine Beziehung und meine Freundschaften, meine Arbeit, mein Studium, meine Ziele, mein ganzes Leben. Selbst bin ich leider auch gefangen in dieser vermeintlich „göttlich-spirituellen“ Blase.

1 Jahr später: In jenem Sommer habe ich mich entschieden, nicht mehr zu spritzen, weder Koks noch H. Ich wollte kurzärmelige Kleidung tragen. Brauchte allerdings dadurch noch mehr Stoff. Ich war wie ein Staubsauger. Eines Tages war die Not mal wieder groß. Mein Freund konnte nicht zu unserem zuverlässigen Dealer nach Düsseldorf fahren (1 Std. Fahrt) – zu kaputt. Dann bin ich auf Turkey zu dem Dealer gefahren, die Fahrt war endlos; bei diesem Russen durften bestimmte Kunden (also auch wir) nach Absprache in die private Wohnung kommen oder es wurde ein Treffpunkt vereinbart. Dieses Mal sollte es ein Treffpunkt werden …

Ich mache es kurz. Nach einer elenden Warterei an einer U-Bahnhaltestelle kam der Russe endlich und hat mir 5 Gramm H verkauft. Anschließend bin ich zur nächsten Toilette in ein Café gegangen und hab Nesquik gesnieft. Meine Erschütterung war grenzenlos. Unter Alkoholeinfluss bin ich mit Hängen und Würgen nach Hause gefahren, hab paar Tropfen Methadon genommen und einen quälenden, lebensgefährlichen Turkey geschoben. 

Paar kleine Runden musste ich noch drehen, aber jetzt bin ich clean und sogar recht glücklich.

Nachtrag: Der Dealer ist hochgegangen – das erfuhr ich über 5 Ecken – und hat für seine Familie (Frau und 2 kleine Kinder) alle Stammkunden ein letztes Mal abgezockt. Was aus ihm und seiner Familie geworden ist, weiß ich nicht. Mein damaliger Freund ist tot. Ein anderer lieber Freund aus der Drogenzeit auch.

SUCHTLEBENSLÄUFE

Der Patient, cannabisabhängig

Geboren 1982 wuchs ich als eines von vier Geschwistern in einem kleinen Nest in der Nähe von Mainz auf. Die Mutter Hausfrau, der Vater Maurer, ein Bruder älter, einer jünger als ich und als Nachzügler meine kleine Schwester. Wir führten ein „normales“ Leben. Haus, Garten mit Pool, jeder sein eigenes Kinderzimmer, aber nie genug Geld, um große Sprünge zu machen – Familienurlaub Fehlanzeige. Das alles wurde zerstört, als der Teufel Alkohol in unsere Familie zog. 

Rückblickend kenne ich meinen Vater eigentlich nur besoffen oder schlafend. Nach der Arbeit in die Stammkneipe, danach nach Hause, um Stress und Ärger zu machen – das war sein Alltag. Viel zu oft musste ich kleiner Stöpsel mit ansehen, wie er handgreiflich gegenüber meiner Mutter wurde. Sowas prägt! 

Noch heute kann ich keine Frauen weinen sehen, muss den Raum verlassen oder umschalten, sollten im TV Tränen fließen. Geschlagen hat ER uns zum Glück nie, das übernahm meine Mutter. Heute glaube ich, sie war in der Situation einfach komplett überfordert, und ließ das leider in Form von Schlägen an uns Kindern aus. Hinterher tat es ihr zwar immer leid und sie entschuldigte sich, aber geschlagen ist geschlagen. Von meinem Vater hätte ich es mir manchmal gewünscht, einfach nur, damit er Mam in Ruhe lässt. Kinder sollten eigentlich andere Wünsche haben! Nach dem Kindergarten kam ich in die Grund- danach in die Hauptschule, welche ich nach der 9. Klasse mit dem Hauptschulabschluss verließ. Kein Bock auf 10. Klasse oder mehr – heute bereue ich das. Ich war ein mittelmäßiger Schüler.

Meine Eltern ließen sich scheiden als ich 12 Jahre war. Das Familienleben war passé. Wir sind in einer Nacht- und Nebelaktion von zu Hause ausgezogen, als mein Vater auf Arbeit war. Zuvor ein großes Haus, ein eigenes Zimmer, lebten wir jetzt in einer 3-Zimmer-Wohnung und ich teilte mithin nun ein Zimmer mit meinen kleinen Bruder. Alles neu, alles anders. Meine Mutter musste jetzt arbeiten gehen, um uns durchzubringen, da mein Vater seinen Lohn lieber versoff, als Unterhalt zu zahlen. Ich übernahm als ältester – mein Bruder hatte schon seine eigene Wohnung – die Mutterrolle mit. Machte mit meinem kleinen Bruder Hausaufgaben, holte meine Schwester im Kindergarten ab, machte die Wäsche, räumte auf, führte den Haushalt, wenn meinen Mutter arbeiten war. Wenn meine Freunde zum Spielen draußen waren, musste ich zu Hause bleiben, um meiner Schwester die Windeln zu wechseln. Meine Kindheit war schlagartig  vorbei. Musste leider viel zu schnell erwachsen werden. So zog sich das einige Jahre hin.

Wie auf dem Dorf so üblich, gerade wenn die Hälfte des Ortes seinen Lebensunterhalt mit Weinbau bestreitet, kam der Alkohol auch irgendwann in mein Leben. Egal, ob Kirmes, Karneval, Weinfest oder Weihnachtsmarkt. Alkohol war allgegenwärtig. Reichlich, günstig und überall. Meinen ersten Vollrausch hatte ich mit 15, danach gehörte der Alkohol irgendwie immer dazu. Ob bei Dorffesten, Familienfeiern oder mit der Clique, getrunken wurde immer öfter.

Nach der Schulzeit wusste ich nicht so recht, was ich wollte, hatte keine berufliche Vorstellung. Bei uns im Ort war eine Ausbildungsstelle zum Maschinenbaumechaniker frei, also machte ich das. Ich konnte zur Firma laufen, das war aber auch schon alles, was mir daran gefiel. Die ersten beiden Lehrjahre war ich, obwohl unerwartet, echt gut, auch in der Berufsschule. Das sollte sich aber bald ändern. Mit 16. Ich war im 2. Lehrjahr und musste auf einen Lehrgang nach Mainz. Wir waren mittlerweile  in den Nachbarort umgezogen und um nicht mit dem Bus oder der Bahn nach Mainz fahren zu müssen, schlief ich in dieser Zeit bei meinen Großeltern in meinem Heimatort. Mein Opa arbeitete in Mainz und konnte mich so jeden Morgen mitnehmen. Endlich war ich wieder in Framersheim, endlich wieder bei der Clique, endlich wieder Spielplatz oder Jugendraum. 3 Wochen lang, jeden Abend. Alkohol war natürlich auch dabei. 3 Wochen lang fast jeden Abend. Ich schloss den Lehrgang als Lehrgangsbester ab, das musste natürlich ordentlich gefeiert werden. Freitag Abend, Partykeller, die Clique und jede Menge Baccardi. Das war die Nacht meiner Alkoholvergiftung, die letzte Nacht, in der Alkohol eine Rolle in meinem Leben spielen sollte. Ich weiß bis heute nicht, was an diesem Abend alles passierte. Ich wollte wohl irgendwann in der Nacht mit einem Freund nach Hause, zu meinen Großeltern konnte ich in diesem Zustand nicht. Wach wurde ich allerdings im Krankenhaus. Schlauch in der Nase und überall verkabelt. Scheisse, was war hier los, was war passiert? Man fand mich wohl im Bach liegend, bewußtlos, und rief die Polizei und den Rettungswagen. Von dem Arzt im Krankenhaus erfuhr ich, dass ich total nass und unterkühlt, es war November, gefunden wurde. Ne halbe Stunde später, so der Arzt, und es hätte zu spät sein können. Glück gehabt! Ich weiß bis heute nicht, wieviel Promille ich hatte – vergessen oder verdrängt, ich weiß es nicht. Es gab natürlich eine Menge Ärger zu Hause. Von dem Tag an war Alkohol kein Thema mehr für mich.

Im Januar ’99 fing ich an zu rauchen. Zuerst nur Zigaretten. Waren es anfangs nur 2–3 Zigaretten am Tag, schaffte ich schnell ne Packung. Dann kam die Nacht zum 1. Mai und mein Leben sollte sich für immer verändern. Es war Walpurgisnacht. Es war die Nacht, in der ich meinen ersten Joint rauchte. Und ich fand es leider geil. Die Clique war komplett auf unserem Spielplatz versammelt, wir hatten Spaß, lachten viel, ich fühlte mich leicht, frei, es gefiel mir. Endlich mal vergessen, abschalten, Spaß haben. Beflügelt von dem Gefühl des Joints, rauchte ich 2 Tage später meine erste Bong. Das gefiel mir nochmal mehr als der Joint 2 Tage zuvor. Und so sollte die Bong für die nächsten 22 Jahre täglicher Begleiter, engster und bester Freund werden.

Aus anfangs nur am Wochenende, und auch nur abends 2–3 Köpfe, wurde langsam auch unter der Woche abends, später sogar täglich morgens, mittags, abends. Die Bong blubberte rund um die Uhr. Auch die Menge wurde immer mehr. Zum Schluss brauchte ich 2–3 Gramm, um überhaupt zu funktionieren.

Irgendwann, ich weiß gar nicht mehr genau, wann und wie, tauchte auch Speed im Jugendraum auf. Die Neugier war geweckt. Das Gefühl nach einer Nase Speed war ganz anders als beim Kiffen. Ich war wach, munter, aufgedreht, wollte nur noch Party machen, das genaue Gegenteil vom Kiffen. Wieder etwas, das mir zu gut gefiel. Somit wurde immer öfter nicht nur geraucht, sondern auch gezogen. Irgendwas ging immer!

Ich schmiss meine Ausbildung 3 Monate vor Ende der Ausbildungszeit. Party war mir wichtiger. Ich ließ total nach auf der Arbeit, häufte Fehltage an, arbeitete ungenau und nichts klappte mehr. Meine Mutter musste antanzen, ebenso ein Herr von der Berufsberatung. Wir einigten uns, dass ich meine Ausbildung in einem anderen Betrieb fortsetzte. Ich wechselte, brach aber nach der 3-monatigen Probezeit ab. Ich wollte einfach nicht mehr, hatte andere Dinge im Kopf – Party machen oder einfach nur mit meinen Kifferfreunden abhängen. Meiner Mutter machte ich noch 2 Wochen lang vor, jeden Morgen zu Arbeit zu gehen, bis ich beichtete, dass ich alles hingeschmissen habe – da war Polen offen!

Meine Mutter bestand darauf, dass ich nun zur Bundeswehr gehe, wozu ich noch weniger Lust hatte. „Du bleibst nicht arbeitslos zu Hause“. „Solange Dur Deine Füße unter meinen Tisch steckst, machst du, was ich sage!“ Ich hatte keine andere Wahl. Sie machte einen Termin zur Musterung und irgendwann kam dann auch der Einberufungsbescheid.

Mit 18,5 zog ich von zu Hause aus. Ich kam mit dem neuen Freund meiner Mutter nicht klar, wollte endlich meine eigenen 4 Wände. Da ich mir von meinem Arbeitslosengeld keine eigene Wohnung leisten konnte, zog ich zusammen mit meine beiden Kifferfreunden in eine WG in Alze. Endlich in die Stadt, endlich weg vom öden Landleben. In dieser Zeit rutschte ich in die Technoszene ab. Mir gefiel die Musik, heute macht sie mich aggressiv und die Leute waren immer gut drauf – im wahrsten Sinne des Wortes!

So zogen auch LSD, Ecstasy, Kokain und Heroin in mein Leben ein. Gehörte zum Feiern irgendwie dazu. Freitagabends in die Disco und teilweise erst am Sonntag abends wieder raus. Das Palazzo in Bingen wurde am Wochenende zu meinem zweiten Wohnzimmer, LSD und Ecstasy wurde zu meinen neuen Wochenendfreunden. Kokain habe ich auch ausprobiert, kann ich aber an 2 Händen abzählen, wie oft. War irgendwie nicht meins. Lag vielleicht auch am Preis. Auch Heroin probierte ich aus, allerdings nur 2 Mal, musste jedes mal davon kotzen – Thema erledigt! Meine Sturm- und Drangzeit hatte ich von 18–23, danach nahm ich nur noch vereinzelt mal ne Nase Speed oder ne Pille beim Feiern, zuletzt Silvester 2014/2015. Seitdem sind chemische Drogen kein Thema mehr für mich. Man wird ja auch nicht jünger!

2001, 1 Tag nach meinem 19. Geburtstag musste ich dann meinen Wehrdienst antreten. Zuerst überhaupt keine Lust auf die Bundeswehr, fing ich jedoch relativ schnell Feuer. Im Nachhinein mit die geilste Zeit meines Lebens. In den ersten 4 Monaten Grundwehrdienst, ein Kamerad brachte sonntags immer Pilze mit, führten wir den „Pilzedienstag“ ein. Immer dienstags seilten wir uns ab und aßen Pilze. Gekifft wurde ab und zu auch. Später, in meiner Stammeinheit, kam auch ein alter Freund des öfteren mal wieder vorbei – der Alkohol. Bier gehört wohl bei der Bundeswehr zum Grundnahrungsmittel. Zum Glück war ich noch nie Bier-Fan und konnte somit der Versuchung widerstehen. Gekifft habe ich weiterhin.

Nach der Bundeswehr fiel ich wieder in dieses „ich weiß nicht was ich machen will-Loch“. Um schnell Geld zu verdienen, nahm ich den erstbesten Job an. Im Lager.

Unsere WG-Wohnung wurde in Zwischenzeit gekündigt und ich musste erst mal wieder zurück zu meiner Mutter zu ziehen. Dort blieb ich dann auch noch etwa 1 Jahr wohnen, bevor ich mir zusammen mit meinem 1. festen Freund eine Wohnung in Worms nahm. Er konsumierte auch und kiffen stand auf der Tagesordnung. Als er mich nach 3,5 Jahren Beziehung betrog, ich erwischte ihn in flagranti, schmiss ich ihn raus und wohnte das erste Mal in meinem Leben alleine. Ich kiffte noch mehr als zuvor. 

Ein halbes Jahr später lernte ich meinen nächsten Freund kennen. Wir kamen relativ schnell zusammen und ich packte meine 7 Sachen, gab alles auf und zog zu ihm nach Frankfurt. Er konsumierte nicht und so waren das die ersten 6 Monate, in denen ich abstinent war. Zwangsweise! 

Da ich nicht vom Arbeitsamt anhängig sein wollte, musste ich schnell einen neuen Job finden. Das geht am schnellsten in der Gastronomie und so kam es, dass ich meinen ersten Job als Servicekraft in einer CafeBar annahm. Ich fing sofort Feuer. Das war genau mein Ding. Mit der Zeit lernte ich auch wieder die „richtigen“ Leute kennen und hing ziemlich schnell wieder an der Bong. Heimlich natürlich. Irgendwann flog ich natürlich auf. Mein Freund konnte damit überhaupt nicht umgehen, wir stritten nur noch und beendeten schließlich unsere Beziehung.

2009 lernte ich dann auf der Arbeit meinen jetzigen Freund kennen. Er konsumierte auch, was wohl nach meinem Aufenthalt hier in der Klinik zum Problem werden wird. Das macht mir jetzt schon Angst.

2015 bekam meine Schwester ihr 2. Kind, einen Sohn, Milan, und sie wollte, dass ich zum Patenonkel werde. Ich habe mich riesig gefreut. Da ich nie eigene Kinder haben werde, sind die Kids mein Kinderersatz neben unserem Hund. Die zwei sind mein Ein und Alles und mit der Grund, warum ich heute hier in der Klinik bin.